varanasi – sehnsuchtsziel der pilger

eine indienreise führte uns über das quirlige dehli, das erhabene agra und das heitere khajuraho ins heilige varanasi. wie viele europäer hatten wir eine ausgeprägte vorstellung von diesem riesigen pilgerort am heiligen fluss.

ankommen in varanasi ist anstrengend. wie mit einem schlag prasselt alles auf mich ein. die vielen menschen, die pilger, die devotionalienhändler, geld zählende priester, bettler, sadus, der lärm, der staub. hier prallen geschäftemacher auf verzweifelte, hoffnungsvolle, trauernde, resignierende. auf einer indienreise beginnt spätestens in varanasi die seelische berg und talfahrt.

Benares – was kann man alles hinter diesem magischen wort vermuten? wir haben mystische orte, eine geheimnisvolle stimmung, verzauberte menschen erwartet. nein – hier ist das altötting indiens. die verbrennungstätten wirken trotz ihrer optisch archaischen anmutung nüchtern und berühren unsere seele nicht. glücklicherweise haben wir fünf tage zeit um uns einzulassen und einzutauchen in diese stadt am ganges.

es ist diwali, das mehrtägige indische lichterfest, das immer am 15. kalendertag des hindumonats kartik, ende oktober bis mitte november, beginnt. die hauptghats sind überfüllt, alle warten auf die abendliche lichterzeremonie, die an diesem festtag etwas besonderes ist. für diwali werden die häuser geputzt, farbige ornamente auf dem boden vor dem hauseingang angebracht, lichter in die fenster gestellt, oder elektrische lichterketten an den gebäuden aufgehängt. die feuerwerksverkäufer haben hochkonjunktur und wir werden ein stundenlanges feuerwerk an den ufern des ganges erleben, das das neue jahr einleitet.

mit dem boot fahren wir die ufer des  ganges entlang – bewundern die verkommenen paläste der maharadjas, die sich hier vorsichtshalber einen wohnsitz zum sterben gebaut haben. tod oder verbrennung in varansi sind wie ein nonstopflug ins nirvana – egal wieviel gutes oder schlechtes karma der verstorbenene zu lebzeiten angehäuft hat. eine reiche indische familie ist im besitz des hauptverbrennnungsplatzes und des heiligen feuers. sie macht die menschen glauben, shiva habe ihr das heilige feuer geschenkt, das sie bis heute hütet. Zu den preisen für das holz, 280 kg pro leiche, kommen die kosten für das feuer, sie variieren nach der prosperität der abnehmer, und für sandelholzpulver und ein abbrennpulver.

unser bootsmann fährt erstaunlich nah an das verbrennungsghat heran. der eindruck ist weder gruselig noch bewegend. auch als eine neue leiche auf das aufgeschichtete holz gelegt wird vermittelt sich nichts anderes als der eindruck, dass leichen hier genauso in weisse tücher gewickelt werden wie bei uns im mittelalter. auch die geschichte von den streunenden hunden, die sich nicht verbrannte knochen schnappen scheint ins reich der legenden zu gehören. das abbrennmittel tut seinen dienst ähnlich gut wie das sandelholz – es riecht nicht. gelegentlich läuft eine kuh zwischen den scheiterhaufen. ein scheiterhaufen ist fast abgebrannt und jetzt erhält das familienoberhaupt der trauergesellschaft, die traditionell nur aus männern besteht einen grossen unverbrannten knochen, um ihn symbolisch für den toten in den ganges zu werfen. er löscht auch das feuer mit wasser. die asche wird später, wenn die trauergesellschaft zu einer reinigungszeremonie aufgebrochen ist, von den arbeitern auf goldschmuck durchsiebt, ein kreislauf, den hier jeder akzeptiert.

wir fahren zurück zum dashashwamedh ghat, die lichterzeremonie mit sieben priestern beginnt. der gesamte platz und eine unmenge boote sind gefüllt mit gläubigen und mit schaulustigen fremden. es ist  voller als sonst. zahlreiche lichter in blumenkränzen schwimmen im ganges, auch unsere sind dabei.

am nächsten tag um fünf uhr – raus aus den federn, rauf aufs boot, sonnenaufgang am ganges. heute ist das hauptghat wieder voll mit pilgergruppen. vor allem viele frauen kommen aus allen teilen des landes hierher. zu ihrer pilgerausstattung gehören badesari, handtücher, farbpigmente, blätter, blüten, kerzen. zuerst nehmen sie das bad im ganges und beten in alle himmelsrichtungen. untertauchen und mit wasser übergießen gehört zum ritual. gelegentlich sieht man ein paar, oder väter mit ihren kleinen söhnen. nach dem trocknen und umziehen folgen weitere zeremonien. die pilgerinnen malen bunte muster auf boden und steinstufen, stellen kerzen auf, arrangieren blätter und blüten. vor allem die südinderinnen vollziehen ihr eigenen rituale. nordinderinnen gehen zu einem der priester, die auf den aufgebauten brettertableaus sitzen und ihre dienste anbieten. fast alle nehmen in plastikcontainern, die es überall zu kaufen gibt das wasser des heiligen flusses mit nach hause. dann folgt der tempelbesuch, die schlangen sind lang. viele frauen haben das haar abrasiert, südinderinnen, denen die götter einen schwerwiegenden wunsch erfüllt haben. im norden indiens gibt es die sitte des haaropfers nicht. sicherlich erfüllen viele, die hierher kommen ein gelübte.

der verbrennungsplatz ist fast leer, so früh am morgen. in den schmalen gassen begegnen wir einem leichenzug. die anderen passanten versuchen die leichenträger nicht zu berühren, denn diese sind in diesem moment unrein. nein, zum „bummeln laden die mittelalterlich kleinen gässchen“ nicht ein, wie der reiseführer schreibt. zu voll und zu eng, ein gedrängel und geschubse.

die magere ausstattung unseres hotels an den ghats treibt uns ins taj hotel zu einem ausgiebigen, späten frühstück -  es wird für heute unser einziges vernünftiges essen bleiben.

seit tagen schniefen und japsen wir. die luftverschmutzung ist hier so hoch, dass ich denke die menschen müssten alle spätestens mit 40 sterben. dieses wahnsinnige land erzeugt seinen strom, der auch noch dauernd ausfällt mit kohle. und das bei der sonneneinstrahlung. wo bist du, technischer fortschritt? ich bewundere michael, wie er sich hier auf die fotoshootings konzentrieren kann. ich kann die eindrücke, die auf mich einprasseln kaum alle aufnehmen, im schreiben versuche ich sie zu verarbeiten, es sind zu viele menschen und viel zu nah.

wie eng glaube und notwendigkeit nebeneinander liegen zeigt sich an den ghats. hier das rituelle bad, 500 meter weiter das morgendliche einseifen, waschen und zähneputzen derer, die zuhause kein wasser haben. das seifenwasser fliesst zu den gläubigen, kann den fluss aber nicht schmutziger machen, als er ohnehin schon ist – auch nicht sauberer. schuld ist die verschmutzung durch industrie und abwässer. aber der ganges hat unglaubliche selbstreinigungskräfte, die einen grossteil der verunreinigung abbauen können.

unser letzter tag in varanasi. michael geht in aller frühe raus zu den ghats – ein shooting mit den sadus steht an. ich bleibe im hotel und schreibe bei unzähligen tassen pulverkaffe, wie malerisch varanasi auf michaels photographien aussieht, wie würdevoll die bambusstangen mit den körben, in denen abends die lichter zur erinnerung an die toten angezündet werden, 15 tage vor bis 15 tage nach diwali. welch schöne stimmung unter den bunten stoffschirmen im morgenlicht an den ghats. ob die erinnerung diesen ort verklären wird?

wir besuchen noch das andere varanasi. die weltliche stadt, in der sich das ganz alltägliche leben abspielt, zwischen strassenhändlern, garküchen, schulkindern, kuhhirten. hier sind wir jetzt wirklich die einzigen fremden. der alltag der menschen versöhnt uns mit der stadt. pilgern ist anstrengend – auch für den beobachter.

wenn ihr lust auf weitere bilder aus varanasi habt, besucht folgende website:

http://michael-harker.com/

Unser  begleiter in varanasi: mukund lal
text: suzanne bäumler
fotos: michael harker