Die Dabbawalas von Bombay

Nichts lassen wir so nah an unseren Körper heran wie unsere Nahrung. nicht unsere Kleidung, nicht unsere Nächsten – höchstens unserer Gedanken. In manchen Kulturen gilt daher die Nahrung als das den Menschen bestimmende, das nährende, energiespendende Element. Viele unserer Erinnerungen an Kindheit und Heimat verbinden sich mit vertrauten Geschmäckern und Gerüchen.

Nicht zuletzt gibt es auch bei uns das Sprichwort “du bist – was du isst”

 

In Bombay hat sich aus dem Wunsch der in der Stadt arbeitenden Bevölkerung nach ihrer gewohnten heimischen Speisen ein einmaliges Transport- und Logistiksystem entwickelt. Die Dabbawalas. Wir wollten das System kennenlernen, die Menschen die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, auch die Kunden und die vielen Legenden, die sich um Dabbawalas ranken. Also begleiten wir einen erfahrenen Dabbawala einen Tag auf seiner Tour.

Dies sind die Koordinaten:
5000 Dabbawalas
bis zu 200.000 Mahlzeite
bis zu 70 km Fahrtstrecke
500 Rupien pro Monat

ergibt eine über 125 Jahre währende Erfolgsgeschichte

Einsammeln

Um 8 Uhr treffen wir Mr. Suresh in Avinash, einem Vorort von Bombay. Das begehrte Wohnviertel für Bombays (Mumbais) aufstrebende Mittelschicht liegt an einer der beiden grossen S-Bahnlinien, die mit ihrem 300 km langen Schienennetz die Innenstadt mit den Aussenbezirken verbinden. 3.000 bis 6.000 Rupien (48 bis 100 Euro ) kostet eine Vierzimmerwohnung in den “7 bungalows”. Der Lift bringt uns in den 13. Stock zum Appartement der Familie  Palejas aus Cujerat.

Jigna öffnet, sie hat den Dabbawala bereits erwartet und das Thermosgeschirr schon verpackt. Dahl, Reis, Gemüse und Chapattis hat sie heute für ihren Mann vorbereitet.

“Am liebsten isst mein Mann Ashok Fastfood, aber nur wenn ich es zu breitet habe. Daher mache ich oft Pasta oder Veggieburger.”

Die Palejas sind wie ein Großteil der indischen Bevölkerung Vegetarier. Um 6.30, wenn der Sohn das Haus verlässt beginnt Mrs. Palejas zu kochen.

Zu unserer Überraschung erscheint Mr. Palejas in der Türe, im dunkelblauen Seidenpyjama. Als Wirtschaftsprüfer beginnt er seinen Arbeitstag erst um 10 Uhr, selbst mitnehmen will er aber sein Essen nicht, denn nicht jeden Tag fährt er zuerst ins Büro und selten kehrt er vor halb 10 Uhr abends zurück nach Hause. Er gehört zu den Glücklichen, die es geschafft haben. Gerne lässt er sich mit seiner Frau auf dem Wohnzimmersofa ablichten. Flachbildschirm, großer Kühlschrank und schwerer Tischtresor sind stumme Zeugen des Wohlstandes.

Weiter geht’s mit dem Fahrrad zur nächsten Familie, unterwegs werden Mr. Suresh von einem Kollegen ein paar Essenspäckchen an den Gepäckträger gebunden. Ganz in der Nähe eines der Dabbawala Sammelpunkte hat Naeen Ansari sein ambulantes Geschäft aufgeschlagen. Auf dem Boden kauernd repariert er bei Bedarf die Fahrräder der Dabbawalas .

 

 

 

 

 

 

Der drahtige Mann mit seinem dichten hennaroten Haarschopf macht die altertümlichen, schweren Vehikel mit gezielten Schlägen und schnellen Handgriffen wieder flott. Eine rohe Holzkiste dient als Werkzeugschrank, umrahmt von den Fahrradschläuchen. Naeen ist Moslem und lebt in diesem Viertel, wie auch viele der hinduistischen Dabbawalas, die hier morgens die gekochten Mahlzeiten einsammeln. Fünfundzwanzig Kunden besuchen sie im Schnitt pro Morgen.

Durch den von Bussen und den aus den Suburbs noch nicht verbannten Dukduks bestimmten Morgenverkehr gelangen wir zu den Evershine Appartements.

Mrs. Jyoti Dalal ist schon auf den Besuch des Dabbawalas vorbereitet. “Ich habe heute Krautgemüse, Mangopickles, Reis und Chappati zusammen mit einer Süssigkeit aus Cashweynüsssen in der roten Nike-Thermotasche verstaut”. Ihr Mann Hasit ist bereits um acht Uhr in einen der Businessdistrikte Bombays aufgebrochen. Familie Dalal gehört zur Gruppierung der Jain und isst daher auch streng vegetarisch.

Jain verzichten auch auf alle Wurzeln und Knollen um der Erde nicht zu entreissen was ihr gehört, also z.B. auf Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer. Seit zwei Jahren nutzt sie bereits die Dienste der Dabbawalas und zahlt dafür 500 Rupien pro Monat, etwas acht Euro.

Zurück auf der Strasse werden bereits die ersten Säckchen ausgetauscht, die Verwirrung beginnt – wenn auch nur für mich.

Die Milchlieferanten lenken ihre mit bis zu sechs Milchkannen schwer behangenen Fahrräder durch den Verkehr. Auch diesen Service kann man in Bombay abonnieren.

Wir nähern uns der Andheri Railwaystation. Vor den Appartementhäusern mit den Stores von Marc Cain und Apple stehen teilweise noch die alten Hütten und Wellblechbehausungen. Sie machen den gesellschaftlichen Wandel, der sich im Viertel vollzieht deutlich. Überfüllte Busse kommen an der Bahnstation an. Wer ein eigenes Geschäft hat, beginnt um zehn Uhr zu arbeiten, jetzt ist Rushhour.

Und nun beginnt der verblüffend organisierte Teil der Arbeit der Dabbawalas . Die im gesamten Viertel eingesammelten Essensboxen werden am Strassenrand gesammelt und neu sortiert. Es mischen sich die privat gepackten bunten Säckchen der Hausfrauen, mit den einheitlichen grünen Thermotaschen vom Caterer “magic meal” und den altmodischen, verbeulten Tiffin Boxen aus Blech, in denen meist eine Burgertüte steckt. 31 Stück davon hängen an einem Fahrrad!

Alle paar Minuten kommt ein Fahrrad mit neuer Ladung. Das Geheimnis des Systems liegt in der Codierung der Behälter. Das Forbes Magazin zeichnete es 2002 mit dem “six sigma standard” für seine Logistik aus. Nach neuesten Untersuchungen machen die Dabbawalas weniger als einen Fehler auf 6 Millionen Zustellungen.

 

 

 

 

 

 

 

3 A P 18 5 gesellt sich zu 3 A P 18 68A0 und 3 A P 18 11!

3 A steht für die Bahnstation Andheri; P 18 für den Dabbawala der abholt; P 11 für den Dabbawala der liefert. Die Farben Gelb, Blau und Grün benennen die Bahnstation, das westliche oder östliche Areal der Stadt und die Nummer des Büros oder des Hauses, in das geliefert werden soll. Die Ansammlungen von Boxen werden immer grösser, um halb elf wird auf Holzgestelle mit Eisenrehling umgeladen. Alles geschieht in vollkommener Ruhe und Gelassenheit. Zielsicher im wahrsten Sinn des Wortes werden die Bündel umgeschnürt. Ständig kommen noch neue Taschen und Dosen an. Inzwischen sortieren neun Dabbawalas die Fracht, nichts geht schief. Für eine Zigarette zwischendurch ist immer noch Zeit.

Die Gestelle werden auf dem Kopf zum Bahnsteig balanciert, noch 2 Minuten bis der Zug einfährt, genug Zeit um schnell über die Gleise zu springen, mit ca. 70 Essen auf dem Kopf. Schnell und lautlos funktioniert das System! Der Zug läuft ein, Taschenbündel werden auf Schultern geladen, aussteigende Menschenmengen mischen sich mit den am Bahnsteig wartenden Dabbawalas für eine kurze Zeit zu einem scheinbar unlösbaren Knäuel. Circa 800 Mahlzeiten werden verladen, auch jetzt wird noch sortiert.

Die Fahrt

Der Zug fährt an. Ein kleiner Moment Ruhe für Alle. Der warme Wind bläst gnädig durch die geöffneten Fenster des für die Dabbawalas reservierten Gepäckabteils.

Mittlerweile ist es 10.45 Uhr. Es wird gelacht, erzählt, unser Besuch ist natürlich eine willkommene Abwechslung, Lieferlisten werden studiert, heftig telefoniert, fürs Foto posiert. Enge ist kein Ausdruck für den Zustand in dem 3,5 auf 3,5 Meter großen Abteil: sechzehn Dabbawalas, ca. 800 Mahlzeiten und wir beide!

In ihrer traditionell weissen Kleidung, der Kurta, mit der weissen Schiffchenmütze, dem Topi, sehen sie aus wie die Bäcker einst bei uns.

Es bleibt ein bisschen Zeit für Fragen. Mr. Suresh ist 50 Jahre, liegt damit im oberen Durchschnitt unsres Abteils, zwischen 17 und 70 Jahren sind die Dabbawalas alt.

” Seit dreissig Jahren bin ich bei den Dabbawalas, und es war ein Zufall, der mich dazu brachte. Ein Freund wurde krank, ich bi eingesprungen. Er hat mir noch das nötigste  erklärt, den Rest lerne ich bei der Arbeit. Dann bin ich dabei geblieben.”

6.000 bis 7.000 Rupien verdient Mr. Suresh im Monat, im Verhältnis ein guter Verdienst. Der Zufall spielte bei vielen Dabbawalas eine Rolle. Man bewirbt sich nicht.

für diesen Beruf,ein Onkel nimmt einen mit oder ein Freund. Einer kennt einen, der das macht. Die Voraussetzungen könnten nicht unterschiedlicher sein, vom Analphabeten bis zum gut Ausgebildeten, bei den Dabbawalas finden wir sie alle.

Doch eines eint sie: ursprünglich kommen ihre Familien aus dem Gebiet Maharashtra (Bombay ist die Hauptstadt dieser Region), ihre Sprache ist Marathi, Verständigungsprobleme kann es also nicht geben, auch das ist eines der Geheimnisse der Organisation. Auch wenn sie heute nicht mehr in ihren Dörfern mit den wohlklingenden Namen Alandi, Jerasi, Pandurpur und Bhimashakar leben, sondern entlang des S-Bahnnetzes von Bombay sind sie doch alle entfernte Verwandte. Auch das Wort Dabbawala wird aus dem Marathi abgeleitet, Dabba steht für die mehretagigen Boxen, Wala für jemanden, der eine Tätigkeit ausübt, also der Boxenträger, oder Boxenbringer.

An jeder Station des Vorortzuges wird noch zugeladen. Auch im vornehmen Santa Cruz steigt ein Dabbawala mit seiner Fracht ein. Neue Stellagen werden eingeladen, es wird noch enger. Einer der Lieferanten nutzt die Fahrt für ein kurzes Schläfchen im Sitzen. “Next Station Bandra”, diesmal keine neuen Taschen. Mahim, Matunga Road, dann Dadar Street, unser Ziel. Hier kreuzen sich die beiden zentralen Bahnlinien Bombays. Drei Dabbawalas verlassen mit uns und ihrer Ware das Abteil, sofort wird wieder sortiert. Am Sammelpunkt in Dadar, einem Geschäftsviertel Bombays stehen schon die nächsten Dabbawalas mit ihren Fahrrädern bereit, Säckchen, Taschen, Boxen werden aufgeladen, neue Bündel geschnürt, eine Zigarette geraucht. Früher gab es in dieser Gegend viele Slums, heute türmen sich die Hochhäuser, einige verwitterte Art Deco Gebäude halten tapfer die Stellung.

Ausliefern

Das Ausliefern geht mit der selben Ruhe und Konzentration vonstatten wie die gesamte Prozedur. Systematisch wird das bepackte Fahrrad um seine Fracht erleichtert. In den Büros von Investmentfirmen, Softwareentwicklern, Trainern, auch in einem kleinen Krankenhaus sitzen die Kunden. Der Weg, den eine Lunchbox mit denn Dabbawalas zurücklegt kann bis zu 70 Kilometern betragen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach getaner Arbeit treffen sich einige Dabbawalas im Büro der Organisation, nun werden die eigenen Tiffinboxen ausgepackt. Wir haben eine Verabredung mit Jamuna Ghule, dem Präsidenten des “Nutan Bombay Tiffin Box Sup. Charity Trust”, um mehr über die Struktur der Organisation zu erfahren.

” Ungefähr 5000 Dabbawalas sind in 800 Gruppen unterteilt, die jeweils von einem “Mukadam” geleitet werden. Wenn es Probleme gibt, oder Streitigkeiten geschlichtet werde müssen treffen sich diese Mukadams alle 15 Tage beim mir um zu beratschlagen. Die Organisation ist als Selbstverwaltung zu verstehen, jeder Dabbawala ist sein eigener Unternehmer.”  ALs Charity Trust ist sie seit 1965 eingetragen.

Ein bisschen Geschichte

Die Einmaligkeit des Dabbawalasystems ist eng mit der Kultur Bombays verhaftet.

zunächst waren es die Engländer, die mit der indischen Küche nicht zurecht kamen und eine Organisation brauchten, um das in ihren Häusern zubereitete Essen an den Arbeitsplatz zu bekommen. Das Personal dafür rekrutierten sie ausschließlich aus Maharashtra, einer Gegend um Bombay, daher die gemeinsame Sprache. Das war 1880, 1890 hatte der Lieferservice 100 Mitarbeiter. Heute nutzen viele Inder unterschiedlicher Provenienz, die die Bevölkerung von Bombay bilden diesen Service ebenfalls, um an ihre heimisch zubereitete Kost zu kommen. Mit Stolz erwähnt Mr. Ghule des Besuch von Prinz Charles im November 2003 und von der aus dessen Begeisterung für die Arbeitweise der Dallawallas resultierenden Einladung zur Hochzeit mit Herzogin Camilla.

Es gibt Bestrebungen das Liefersystem in anderen Städten wie Delhi oder Banglore zu installieren, doch viele Voraussetzungen dafür treffen nur in Bombay aufeinander. Die gewachsene, familiäre Struktur der  Dabbawalas, das riesige, auf zwei grosse Linien beschränkte Schienennetz der S-Bahn mit den eigenen Compartements für die Dabbawalas, die meist grosse Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, der Nachfrage nach selbstgekochten Mahlzeiten.

Mit einigen Legenden konnten wir an diesem Tag brechen
Es geht wirklich nichts unter ständigem “schneller, schneller” Geschrei, wie so oft geschrieben. Und es ist nicht die Angst, dass “Unreine” das Essen zubreiten, die die Menschen auf das Selbstgekochte zurückgreifen lässt. Es ist die Sehnsucht nach den heimischen Gewürzen, dem vertrauten Geschmack.

Vielleicht werden die Dabbawalas von Bombay einzigartig bleiben, so wie die Wäscher an den Dhobi Ghats – aber das ist eine andere Geschichte.

text suzanne bäumler

photos michael harker

varanasi – sehnsuchtsziel der pilger

eine indienreise führte uns über das quirlige dehli, das erhabene agra und das heitere khajuraho ins heilige varanasi. wie viele europäer hatten wir eine ausgeprägte vorstellung von diesem riesigen pilgerort am heiligen fluss.

ankommen in varanasi ist anstrengend. wie mit einem schlag prasselt alles auf mich ein. die vielen menschen, die pilger, die devotionalienhändler, geld zählende priester, bettler, sadus, der lärm, der staub. hier prallen geschäftemacher auf verzweifelte, hoffnungsvolle, trauernde, resignierende. auf einer indienreise beginnt spätestens in varanasi die seelische berg und talfahrt.

Benares – was kann man alles hinter diesem magischen wort vermuten? wir haben mystische orte, eine geheimnisvolle stimmung, verzauberte menschen erwartet. nein – hier ist das altötting indiens. die verbrennungstätten wirken trotz ihrer optisch archaischen anmutung nüchtern und berühren unsere seele nicht. glücklicherweise haben wir fünf tage zeit um uns einzulassen und einzutauchen in diese stadt am ganges.

es ist diwali, das mehrtägige indische lichterfest, das immer am 15. kalendertag des hindumonats kartik, ende oktober bis mitte november, beginnt. die hauptghats sind überfüllt, alle warten auf die abendliche lichterzeremonie, die an diesem festtag etwas besonderes ist. für diwali werden die häuser geputzt, farbige ornamente auf dem boden vor dem hauseingang angebracht, lichter in die fenster gestellt, oder elektrische lichterketten an den gebäuden aufgehängt. die feuerwerksverkäufer haben hochkonjunktur und wir werden ein stundenlanges feuerwerk an den ufern des ganges erleben, das das neue jahr einleitet.

mit dem boot fahren wir die ufer des  ganges entlang – bewundern die verkommenen paläste der maharadjas, die sich hier vorsichtshalber einen wohnsitz zum sterben gebaut haben. tod oder verbrennung in varansi sind wie ein nonstopflug ins nirvana – egal wieviel gutes oder schlechtes karma der verstorbenene zu lebzeiten angehäuft hat. eine reiche indische familie ist im besitz des hauptverbrennnungsplatzes und des heiligen feuers. sie macht die menschen glauben, shiva habe ihr das heilige feuer geschenkt, das sie bis heute hütet. Zu den preisen für das holz, 280 kg pro leiche, kommen die kosten für das feuer, sie variieren nach der prosperität der abnehmer, und für sandelholzpulver und ein abbrennpulver.

unser bootsmann fährt erstaunlich nah an das verbrennungsghat heran. der eindruck ist weder gruselig noch bewegend. auch als eine neue leiche auf das aufgeschichtete holz gelegt wird vermittelt sich nichts anderes als der eindruck, dass leichen hier genauso in weisse tücher gewickelt werden wie bei uns im mittelalter. auch die geschichte von den streunenden hunden, die sich nicht verbrannte knochen schnappen scheint ins reich der legenden zu gehören. das abbrennmittel tut seinen dienst ähnlich gut wie das sandelholz – es riecht nicht. gelegentlich läuft eine kuh zwischen den scheiterhaufen. ein scheiterhaufen ist fast abgebrannt und jetzt erhält das familienoberhaupt der trauergesellschaft, die traditionell nur aus männern besteht einen grossen unverbrannten knochen, um ihn symbolisch für den toten in den ganges zu werfen. er löscht auch das feuer mit wasser. die asche wird später, wenn die trauergesellschaft zu einer reinigungszeremonie aufgebrochen ist, von den arbeitern auf goldschmuck durchsiebt, ein kreislauf, den hier jeder akzeptiert.

wir fahren zurück zum dashashwamedh ghat, die lichterzeremonie mit sieben priestern beginnt. der gesamte platz und eine unmenge boote sind gefüllt mit gläubigen und mit schaulustigen fremden. es ist  voller als sonst. zahlreiche lichter in blumenkränzen schwimmen im ganges, auch unsere sind dabei.

am nächsten tag um fünf uhr – raus aus den federn, rauf aufs boot, sonnenaufgang am ganges. heute ist das hauptghat wieder voll mit pilgergruppen. vor allem viele frauen kommen aus allen teilen des landes hierher. zu ihrer pilgerausstattung gehören badesari, handtücher, farbpigmente, blätter, blüten, kerzen. zuerst nehmen sie das bad im ganges und beten in alle himmelsrichtungen. untertauchen und mit wasser übergießen gehört zum ritual. gelegentlich sieht man ein paar, oder väter mit ihren kleinen söhnen. nach dem trocknen und umziehen folgen weitere zeremonien. die pilgerinnen malen bunte muster auf boden und steinstufen, stellen kerzen auf, arrangieren blätter und blüten. vor allem die südinderinnen vollziehen ihr eigenen rituale. nordinderinnen gehen zu einem der priester, die auf den aufgebauten brettertableaus sitzen und ihre dienste anbieten. fast alle nehmen in plastikcontainern, die es überall zu kaufen gibt das wasser des heiligen flusses mit nach hause. dann folgt der tempelbesuch, die schlangen sind lang. viele frauen haben das haar abrasiert, südinderinnen, denen die götter einen schwerwiegenden wunsch erfüllt haben. im norden indiens gibt es die sitte des haaropfers nicht. sicherlich erfüllen viele, die hierher kommen ein gelübte.

der verbrennungsplatz ist fast leer, so früh am morgen. in den schmalen gassen begegnen wir einem leichenzug. die anderen passanten versuchen die leichenträger nicht zu berühren, denn diese sind in diesem moment unrein. nein, zum „bummeln laden die mittelalterlich kleinen gässchen“ nicht ein, wie der reiseführer schreibt. zu voll und zu eng, ein gedrängel und geschubse.

die magere ausstattung unseres hotels an den ghats treibt uns ins taj hotel zu einem ausgiebigen, späten frühstück -  es wird für heute unser einziges vernünftiges essen bleiben.

seit tagen schniefen und japsen wir. die luftverschmutzung ist hier so hoch, dass ich denke die menschen müssten alle spätestens mit 40 sterben. dieses wahnsinnige land erzeugt seinen strom, der auch noch dauernd ausfällt mit kohle. und das bei der sonneneinstrahlung. wo bist du, technischer fortschritt? ich bewundere michael, wie er sich hier auf die fotoshootings konzentrieren kann. ich kann die eindrücke, die auf mich einprasseln kaum alle aufnehmen, im schreiben versuche ich sie zu verarbeiten, es sind zu viele menschen und viel zu nah.

wie eng glaube und notwendigkeit nebeneinander liegen zeigt sich an den ghats. hier das rituelle bad, 500 meter weiter das morgendliche einseifen, waschen und zähneputzen derer, die zuhause kein wasser haben. das seifenwasser fliesst zu den gläubigen, kann den fluss aber nicht schmutziger machen, als er ohnehin schon ist – auch nicht sauberer. schuld ist die verschmutzung durch industrie und abwässer. aber der ganges hat unglaubliche selbstreinigungskräfte, die einen grossteil der verunreinigung abbauen können.

unser letzter tag in varanasi. michael geht in aller frühe raus zu den ghats – ein shooting mit den sadus steht an. ich bleibe im hotel und schreibe bei unzähligen tassen pulverkaffe, wie malerisch varanasi auf michaels photographien aussieht, wie würdevoll die bambusstangen mit den körben, in denen abends die lichter zur erinnerung an die toten angezündet werden, 15 tage vor bis 15 tage nach diwali. welch schöne stimmung unter den bunten stoffschirmen im morgenlicht an den ghats. ob die erinnerung diesen ort verklären wird?

wir besuchen noch das andere varanasi. die weltliche stadt, in der sich das ganz alltägliche leben abspielt, zwischen strassenhändlern, garküchen, schulkindern, kuhhirten. hier sind wir jetzt wirklich die einzigen fremden. der alltag der menschen versöhnt uns mit der stadt. pilgern ist anstrengend – auch für den beobachter.

wenn ihr lust auf weitere bilder aus varanasi habt, besucht folgende website:

http://michael-harker.com/

Unser  begleiter in varanasi: mukund lal
text: suzanne bäumler
fotos: michael harker

 

von tiruvarar nach trichy

tiruvarar

zwei stunden für 50 kilometer, das ist wahres indisches tempo. wir fahren durch eine saftig grüne weiche landschaft, vorbei an heuhaufen – es ist gerade ernte -, feldern, ziegenherden. der verkehr ist wirklich abenteuerlich. jedes mal wenn polizeiposten auftauchen wird der fahrer unruhig, denn diese route war im plan nicht angegeben. er musste an der grenze zwischen kerala und tamilnadu den genauen reiseplan vorlegen und abstempeln lassen, und nur dort darf er hinfahren. unverständlich in einem land!

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indien – berg und talfahrt

berg und talfahrt

der weg nach tiruvanamalay führt vorbei an dem kleinen ort gingee, der nur in den französichen reisführern erwähnt wird. eine unbeschreiblich grosse anlage erstreckt sich über zwei hügel aus granitgärten und eine immense fläche. gingee ist als das beeindruckendste fort indiens bekannt.

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von chennai zu den tempeln in tamil nadu

chennai

wir landen in chennai – der schönere name ist madras. es ist eine stadt mit ca. 10 millionen einwohnern – wobei das wort nicht die tatsache benennt.

unerschrocken machen wir uns abends auf den weg durch die ana salai. ja von wegen schicke hauptstrasse – lampenläden, duk duks, keine fremden mehr. wir gehen weiter bis die ärmsten der armen einfach mit ihren kindern in der kurve einer strasse schlafen. dann ist auch für uns genug. wahrscheinlich schliessen die wächter vor dem hotel wetten ab, wer’s wie lang draussen aushält. das war eine facette indiens.

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